Eine Leseempfehlung für die Sommerferien…

Eine Leseempfehlung für die Sommerferien…

Walter Moers: „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“

„‘Ich bin die Biene, die hundert Mal hintereinander sticht´, begann er leise und wurde dann langsam immer lauter. `Ich bin der Hai, der nicht weiterzieht. Ich bin der Sturm, der dein Schicksal durcheinanderwirbelt, bis kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Ich bin der Blitz, der wieder und wieder in dieselbe Stelle einschlägt. Ich bin der Nachtmahr, der nicht mehr weggeht.´“

So stellt sich Havarius Opal der schlaflosen Prinzessin vor, als er eines Nachts in ihrem Zimmer auftaucht, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Zuvor brechen die beiden zu einer letzten, unvergesslichen Reise auf – in Dylias Gehirn. Dort treffen sie auf liebenswerte Zwielichtzwerge, abscheuliche Zergesser, verbeamtete Würmer und schnarchende Hirnschnecken. Sie überqueren den Friedhof des Humors und betrachten die Gedanken, die Dylias Erinnerungsspinne für sie aufbewahrt hat, bis sie schließlich ihr Ziel erreichen: Das dunkle Herz der Nacht.

Auch in seinem neuesten Roman „Prinzessin Insomnia und der alptraumfarbene Nachtmahr“ spielt Walter Moers viel mit Worten. Dylia, die aufgrund einer Krankheit kaum schläft, verbringt ihre Zeit damit, sich neue Wörter auszudenken. „Meine Gedanken sind meine Freunde“, sagt sie sich. „Bevor mir langweilig wird, würde ich mir neunundneunzig neue Namen für Langeweile ausdenken.“ Ganz so viele fallen ihr dann doch nicht ein, aber sie hat einige Ideen z. B. Pommlonödelfooop oder Eulenstrecken.

Aber sie denkt sich nicht nur eigene Wörter aus, sondern sucht sich auch besonders schöne aus dem Wörterbuch, die sie Pfauenwörter nennt. Jeden Tag versucht sie, zehn neue Pfauenwörter im richtigen Zusammenhang zu verwenden. Wenn jetzt jemand meint, das sei schier unmöglich, so viele komische Wörter könne man sich doch nicht merken, würde Dylia vermutlich erwidern: „Das soll hoyotojokomeshi sein? Ach was, im Gegenteil, es ist völlig pisanzapra!“ und damit hoyotojokomeshi (wortwörtlich übersetzt: einen Baumstamm durch einen Strohhalm trinken = unmöglich) und pisanzapra (eine Banane schälen und essen, also etwas Schnelles, Genussvolles) von ihrer Liste streichen. Doch auch so schafft sie es im Laufe der Nacht, sämtliche Punkte auf ihrer Liste abzuarbeiten.

Der neue Zamonienroman ist ein unterhaltsames, phantasievolles Buch, erzählt in den schillerndsten Farben. Moers Einfallsreichtum ist einfach unglaublich. Überall in Dylias Gehirn wimmelt es nur so von seinen abstrusen Erfindungen. Alles hat er sich aber nicht ausgedacht: Die Krankheit, an der die Prinzessin leidet, gibt es wirklich. Allein in Deutschland leiden laut Schätzungen über 200 000 Menschen am unheilbaren chronischen Fatiguesyndrom, darunter auch Lydia Rode, die Illustratorin des Romans. Ohne sie gäbe es dieses Buch nicht, denn die Idee dazu hatte Moers erst, nachdem sie ihm in einem Brief geschildert hatte, wie sehr ihr die Zamonienbücher gegen die ständige Erschöpfung helfen. Lydia wurde schließlich zum Vorbild für Dylia, die nicht nur unter den gleichen Beschwerden leidet, sondern auch fast den gleichen Namen trägt. Jetzt braucht man aber nicht zu denken, das sei eine dieser Geschichten, deren Inhalt sich in etwa so zusammenfassen lässt: Sieh nur, dieser arme Mensch, wie er leidet! Wie schwer er es hat! Doch auch wenn er manchmal fast verzweifelt, irgendwie lernt er doch mit seiner Krankheit umzugehen.

Nein, es geht nicht um ein Mädchen und seine Krankheit. Vielmehr geht es um ein Mädchen (das nun mal krank ist), das notgedrungen eine abenteuerliche Reise mit einem Nachtmahr unternimmt. Und diese ist spannend bis zur letzten Seite. Ein absolut lesenswertes Buch, insbesondere wenn man Freude an Sprache und Wortspielen hat.

Nora Stoll Q11 aus dem Wahlkurs Schulbibliothek

(ab 8. Oktober 2018 als Taschenbuch, 352 Seiten, ISBN 978-3328103349, erschienen im Penguin Verlag, 14 €)

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